Wie die Zauberin vom Donnerkeil den Tag und die Nacht erschuf - Legendarium Cuprum


 
Das Skript zum gleichnamigen Hörbuch von Christian B.

Einst begab es sich zu jener Zeit, da die Welt noch in ew’ger Finsternis weilte und keine Sterblichen ihre Lande säumten, dass auf dem Gipfel des Höchsten aller Berge, dessen Name „Donnerkeil“ ward, seit Anbeginn allen Seins eine mächt’ge Zauberin zu leben pflegte, deren Anmut allen Erzählungen und Liedern der Göttlichen Minnesager entrückte und einen Jeden, der es wagte, sie zu erblicken, dazu auserkor, ihrem all’heiligen Bann des Herzens zu verfallen.
Eines Tages aber trat ein Fremder auf ihre Schwelle und sprach’: „Verzeiht mir, oh ehrwürd’ge Herrin, wenn Ich Euer Heim ohne vorangehende Kunde meines Aufkreuzens mit meiner Anwesenheit zu erfreuen wage. Doch komme Ich mit dringlicher Kunde aus den Hohen Gestaden. Tirad ist mein Name, Herrin und wenn Ich mir Dies’ zu bemerken erlauben darf, so will Ich nicht verbergen, dass es mir die größte Ehre ist, Eure anmut’ge Erscheinung erblicken zu dürfen. Wahrlich, es gibt kein Lied, das je gesungen, kein Vers, der je geschrieben, Welcher Euer anbetungswürdiges Abbild auch nur im Entferntesten zu fassen vermag. Sehet mich nur allzu gern als Euren aufrechten Diener, Herrin. Euch zu Füßen will Ich gern’ liegen, wenn es Euch beliebt. Doch wisset, dass Ich auch meinem Herrn hoch oben noch diesen einen Dienst schuldig bin. Nach der Lade der 12 Sterne des Ew’gen Quells lässt mein Herr die Herrin fragen; Sie werde wissen, wie Dieses zu deuten wäre, sage er. Ich vermochte nicht, meinen Herrn nach dem Sinn hinter diesen merklich unwirtlichen Botengang zu fragen, erschien es mir doch zu wichtig für den Herrn, um es in Zweifel zu stellen. Und so steh’ Ich hier nun, sein Gesuch in meinen Händen. Verzeiht mein aufdringliches Sein in dieser Sache. Ich steh’ Euch stets zu Diensten. Seht Dies als Auszahlung Eurer Anstrengung, ehrwürd’ge Herrin.“
Die Zauberin aber ward sichtlich verwundert. Traute sie diesem Fremden doch nicht auch nur den kleinsten Schritt über den Weg, denn sie spürte, dass Ihr lieblich-verführerischer Bann sich nicht an seinen Geist zu binden vermochte und ward deshalb voller Wachsamkeit.
So sprach sie denn: „Nun, Dies scheint wahrhaftig ein Gesuch in großer Not zu sein. So lasset Euch doch nieder, Freund! Und labet Euch an Speiß und Trank, denn mein Gast sollt Ihr sein, auf dass Euch Euer Weg alsbald zu Eurem Herrn zurückführen möge. Jene Lade, von Der ihr sprachet, ist sicher verwahrt in meinem heiligen Refugium, tief im Herzen des Donnerkeil. Lasset sie mich nur schnell herbei holen, um sie Euch reichen zu können.“ Und so reichte sie dem Fremden einen üppigen Leib Brot, eine nicht minder üppige Amphore des besten Bergwassers weit und breit und einen Hammelbraten, so saftig und zart, wie ihn noch Niemand jemals erblickt oder verzehrt hatte.
Und als der Fremde sich labte an Speiß und Trank, wie ihm geheißen ward, da stieg die Zauberin hinab zum Herz des Berges, wo ihr magisches Refugium weilte. Und achtsamen Geistes blickte sie dort nun in die Kugel der Hohen Weisheit. Da erkannte sie, wer der Fremde ward und empörte sich wie noch nie in ihrem Leben zuvor. Denn Jener dort oben auf dem gipfel war kein Geringerer als der Fürst der Finsternis höchst persönlich, Der gekommen ward, die Lade der 12 Sterne des Ew’gen Quells durch eine List an sich zu nehmen; hoffend, mit jener Lade besagten Quell seiner Macht untertan zu machen, auf dass Er der leibhaft’ge Schöpfer und Richter aller Lande werden und Kein Sterblicher, geschweige denn Göttlicher, ihm seinen neuen Thron wieder herausfordern möge.
Die Zauberin ward über diese Anmaßung so erbost, dass ihr ein schrilles Kreischen entfuhr, dessen Wucht das Felsgestein des Berges erschütterte und ein furchteinflößendes Beben durch alle Lande schickte. Und so sprach sie: „Dieser Unhold soll mir diese anmaßende Täuschung büßen! Tod und Verderben statt die Allmacht des Ew’gen Quells soll ihn treffen, auf dass sein Leib verrotte, sein Geist verfalle und seine Finsternis weiche! Doch werd’ Ich ihm für Dieses wohl seine eigene List zu Gemute führen müssen.“ Und so trat sie schnellen Schrittes aus ihrem Refugium hinein in eine Höhle, die barg einen kleinen Teich, aus dessen Mitte es blau und grün schimmerte.
Und aus dem schimmernden Teich herauf rief sie den Schmiedemeister der Täuschung, Welcher die Zauberin sogleich nach ihrem Begehr erfragte. Und so sprach sie zu ihm: „Ehrwürd’ger Meisterschmied, der Du die große Kunst der Täuschung Dein Handwerk nennst, schreite mir zur Hilfe! Denn der Fürst der Finsternis trachtet nach der Lade der 12 Sterne des Ew’gen Quells, auf dass er neuer unanfechtbarer Herr dieser Welt werden möge! Zu täuschen versucht er mich, da er sich als Bote aus den Hohen Gestaden verschleiert. Doch spürte Ich, dass sich mein Bann nicht an ihn binden konnte und so blickte Ich in die Kugel der Hohen Weisheit und erkannte seine List. Höret mich an, werter Schmiedemeister, denn Ich bin gewillt, den Fürst der Finsternis auf ewig von dieser Welt zu fegen! Derart’ge Anmaßung ist nicht nur unwürdig eines jeden Göttlichen, aber vor Allem eine große Gefahr für das Schicksal allen Seins. Bitte, alter Freund, helft mir!“
Und der Schmiedemeister der Täuschung sprach: „So sehet denn, zu Euren Füßen lieget eine Schale, gefüllt mit 12 Kieselsteinchen. Reichet sie mir und Ich wandle sie zu einer Falschen Lade mit Falschen Sternen, die den anmaßenden Fürsten eine tolle Überraschung sein möge. Doch wollt’ Ihr dem Fürsten der Finsternis ein für Allemal beikommen, so muss mehr getan werden. Höret wohl, Zauberin! Denn Ich werde der Lade den sechsten Miasmagd der Hohen Wächtergarde beifügen und ihn mit einem gar tückischen Zauber verseh’n! Wisset nun, dass Ihr die falsche Lade niemals öffnen dürft! Lasst auch nicht zu, dass der Fürst sie auf Eurem Gipfel öffnet, denn weh’, oh weh’ Euch, wenn die Falsche Lade sich öffnet, da der Miasmagd in diesem Moment all seine Macht entfalten und alles Leben, das in nächster Nähe um ihn weilt, zu tilgen weis; sei es göttlich oder sterblich.“
Als die Zauberin Dies vernahm, ward sie unschlüssig. Kannte sie die Macht der 6 Miasmagde und deren Wirken doch aus den alten Schriften, die sie einst selbst auf Papier gebannt’, wo sie sie aus der Kugel der Hohen Weisheit las. Sie ahnte gar Schreckliches bei dieser Absicht des Schmiedes, vermochte Dies dem Schmiedemeister gegenüber aber nicht zu offenbaren.
Und so waltete der Schmiedemeister seiner Zunft und schuf in den nun brodelnden Sud seines Teiches eine Falsche Lade, die glich’ der Echten so sehr, wie ein Ei dem Anderen. Und die Zauberin nahm die falsche Lade voller Dank entgegen und brachte sie zum Gipfel, wo sie dem verschleierten Fürsten der Finsternis gereicht wurde. Da sprach die Zauberin: „So erkenne Ich, dass Euch Speiß und Trank gemundet haben, werter Freund! Doch jetzt muss Ich Euch bitten, diesen Ort zu verlassen; rufen mich doch noch vielerlei Verpflichtungen tief im Herzen meines Berges, Welche meine volle Geistesgegenwart erforderlich machen. So geht denn nun! Und habt Dank für Eure Aufrichtigkeit!“
Dem verschleierten Fürsten stand die Freud’ über den glücklichen Ausgang seiner List gerade schon auf die Stirn geschrieben, doch hielt er seine Maskerade bei und zog, der Zauberin dankend, alsbald davon, die Lade unter seinem Arm haltend.
Doch was ein Schrecken offenbarte sich dem Fürsten, als er in seinem Schwarzen Schloss die Lade zu öffnen erwägte, da ein dichter beißender Rauch plötzlich ihm in sein Antlitz stieg, der seine Augen verbrannte, seine Stimme erstickte und seinen Atem verschluckte, sodass der einst göttliche Fürst in seinem Thronsaal, die Lade zu Boden sinkend, sein gar kläglich’ grausiges Ende fand.
Die Zauberin derweil erblickte den Ausgang ihrer Gegenlist in ihrem Refugium, da sie die Kugel der Hohen Weisheit zu Rate zog und ward zunächst voller Freude über ihren glorreich errungenen Sieg, als ihrer Kugel eine mahnende Stimme entsprang, die Zauberin anrufend: „Fürwahr, ein gar listig’ Spiel war’s, dass Ihr dem Fürst der Finsternis derart zusetztet. Doch wisset, welchen Preis das Entfesseln des sechsten Miasmagdes mit sich bringt, werte Meisterin. Erblicket Euer Schicksal!“ Und die Zauberin las aus der Hohen Kugel der Weisheit die unvermeidbare Folge ihres Tuns und ward darauf so voller Verzweiflung, dass sie, den Tränen nahend, flehte: „So also endet es denn nun? Da Ich der Finsternis und ihrem dreisten Fürsten ein endgültiges Exempel aufbot? Da Ich dieser Welt nun einen Weg bereite, im Licht seiner Herren zu weilen? Ist Dies mein Schicksal? Auf ewig gestraft sein für eine gerechte Tat? Ihr Herren, Ich erflehe Euer Gehör! Bitte, lasst all Dies nicht vergebens gewesen sein! Ich erflehe Euch im Angesicht meiner blanken Lebensgeister! So helft mir doch!!!“
Und ihr Flehen ward erhört, da aus der Kugel der Hohen Weisheit erklang: „Steig hinauf!“ Da tat die Zauberin, wie Ihr geheißen ward und erschien denn wieder auf dem Gipfel des Donnerkeil, Welcher nun in ein helles Licht getaucht und eine Stimme tönte aus eben jenem Licht zu ihr: „So sei Dir, werte Meisterin, Dein Tun verzieh’n. Wisse aber, dass Dies nimmermehr geschehe. Denn Göttliche nehmen Einander kein eigenes Leben und Wer es trotz dieses Gebotes tut, nur das Schicksal endgültigen Vergeh’ns ins Große Leere werde Ihm darauf zuteil werden, wie es das Heilige Wort des Alphardius zu Uns spricht.“ Da versprach die Zauberin aufrecht’gen Herzens, dass Diese Hinterlist ihre Letzte ward und wurde sie sogleich ihrem so trauten, steinernen Grund entrückt.
So begab es sich, dass die Zauberin hinauf stieg in jenes Licht, das da ward der leibhaft’ge Weg in die Hohen Gestade, wo die Göttlichen herrschten und Ihr als die Schwester, Die sie Ihnen ward, die Macht über die fast vergangene Finsternis verliehen. Was die Zauberin in aller Dankbarkeit über ihre unverhoffte Errettung schlussendlich dazu bewog, der Finsternis einen neuen Platz in der Welt zu lassen, Seite an Seite mit dem Licht der Göttlichen, Welches da nun zu gleichen Teil mit der Finsternis erstmalig die Welt zu erfüllen begann.
Und die Zauberin bat die Göttlichen, die Welt auf ewig in stete Bewegung zu bringen, dass da jedes Fleckchen einmal das Licht und einmal die Finsternis erfahre. So geschah es denn, als sich da die Zauberin in einen anmutig strahlenden Stern wandelte, um sich am Finstren Firmament einen Thron zu errichten, auf Welchem sie bis zum heutigen Tage verweile, den Weg recht so weisend für Alle, die verloren gehen könnten, sollten sie auf ihren Reisen je vom Licht in das Finstre wandern.
So ward es denn geworden, dass die Welt die erste Nacht und den ersten Tag erfuhr und ihre einst von lebloser Ödnis geprägten Lande und Meere damit begannen, ihre eigene Lebendigkeit als Folge des Geschehenen zu offenbaren.